Aus den “Sprüchen der großen Herzensfreude”

Die “Sprüche der großen Herzensfreude” stammen aus dem Papyrus Chester Beatty und sind ein Wechselgesang zwischen zwei Liebenden, wobei der Text durch Wortspiele auf die Nummer des Liedes Bezug nimmt. Deswegen “Einzig” in I und “Fünf Tage” in V usw.

I

Einzig ist die Geliebte, ohnegleichen, schöner als jedefrau.
Strahlend ist sie, wie der aufgehende Stern, der dem guten Jahr voranzieht.

Die tugendleuchtende, glanzhäutige, mit Augen, die klar blicken,
mit Lippen, die süß reden, hat sie kein Wort zuviel.

Mit hohem Wuchs und schimmernder Brust, hat sie echts Lapislazuli zum Haar;
ihre Arme übertreffen das Gold, ihre Finger sind wie Lotoskelche.

Mit prangendem Hintern und schmalen Hüften, tragen ihre Schenkel ihr Schönstes;
mit edlem Gang, wenn sie dahinschreitet, raubt sie mein Herz mit ihrem Gruß.

Sie läßt den Hals aller Männer sich verrenken, daß man sie sieht;
ein jeder, der sie umarmt, spürt Wonne und fühlt sich als erster aller Liebhaber.

Sieht man sie hinausgehen, gleicht sie jener Göttin (Hathor), der Einzigen.

II

Der Geliebte erregt mein Herz durch seine Stimme - sie macht, daß mich Krankheit ergreift.
Ganz nah wohnt er am Hause meiner Mutter, aber ich weiß nicht, wie zu ihm gehen.

Gut wäre es, meine Mutter sagte ihm von mir: “Laß ab, sie zu sehen!”.
denn mein Herz sträubt sich, an ihn zu denken, und doch ergreift mich die Liebe zu ihm.

Schau, er ist ohne Vernunft, aber ich bin genauso wie er.
Er kennt nicht meinen Wunsch, ihn zu umarmen, sonst würde er bei meiner Mutter um mich anhalten.

Geliebter, ach wäre ich dir anvertraut von der “Goldenen”, (der Herrin) der Frauen!
Komm zu mir, daß ich deine Schönheit schaue, dann freuen sich Vater und Mutter,
und alle Menschen jubeln dir miteinander zu, sie jubeln dir zu, Geliebter!

III

Mein Herz gedachte ihre Schönheit zu sehen, daß ich ihr innig beiwohne,
Doch traf ich (Prinz) Mehi im Wagen unterwegs mit der Schar seiner Liebhaber.

Ich wußte nicht, wie ihm auszuweichen, oder sollte ich unbefangen an ihm vorbeigehen?
War mir doch der Fluß wie eine Straße, und ich sah keinen Weg für meine Füße.

Wie so unwissend bist du mein Herz - warum willst du an Mehi vorbei?
Schau, wenn ich vor ihm ausweiche, verrate ich ihm meine Gefühle.

“Siehe, ich gehöre zu dir”, würde ich ihm sagen. Er aber würde mich beim Namen rufen
und mich als ersten Diener einteilen (von denen), die in seinem Gefolge sind.

IV

Wie pocht mein Herz so schnell, denk ich an meine Liebe zu ihm!
Es läßt mich nicht wie ein Mensch gehen, es hüpft an seinem Platz.

Es läßt mich nicht das Hemd anziehen und hindert mich, den Fächer zu greifen.
Es läßt mich keine Schminke an meine Augen legen und hält mich ab, mich zu salben.

“Halte dich nicht auf, damit du das Ziel erreichst”, sagt es mir, so oft ich an ihn denke.
Begeh mir, mein Herz, keine Dummheiten, weshalb willst du mir Kummer machen?

Bleibe ruhig, der Geliebte kommt zu dir, aber zugleich auch die Augen der Menge.
Laß die Leute nicht über mich sagen: “Eine Frau, die der Liebe verfiel!”
Bleibe fest, wann immer du an ihn denkst, mein Herz, poche nicht so!

V

Ich bete die “Goldene” an und preise ihre Majestät, ich rühme die Herrin des Himmels,
ich gebe Jubel der Hathor und Verehrung der Herrin.

Ich flehte zu ihr, und sie erhörte meine Bitte, sandte mir meine Herrin;
von sich aus kam sie um mich zu sehen - wie überwältigend ist, was mir geschah!

Voll Jubel war ich, freudig und hochgestimmt, als es hieß: “Schau, sie ist da!”
Ja, als sie kam, verneigten sich alle Verehrer aus großer Liebe zu ihr.

Ich machte meiner Göttin ein Gelübde, und als Lohn gab sie mir die Geliebte -
drei Tage, nachdem ich sie anrief bei ihrem Namen. Sie verließ mich vor fünf Tagen!

VI

Vorüber ging ich nahe an seinem Hause und fand seine Türe offen.
Der Geliebte stand da neben seiner Mutter, und alle seine Geschwister bei ihm.

Liebe zu ihm ergriff das Herz eines jeden, der des Weges ging,
zu diesem herrlichen Jüngling, ohnegleichen, einem Geliebten von edler Art.

Er blickte auf mich, als ich vorüberging, und ich konnte nur jubeln.
Wie froh war mein Herz, voller Jauchzen, Geliebte, als ich dich sah!

Auch, daß die Mutter meinen Wunsch kennte und er ihr sogleich einginge!
“Goldene”, ach gib ihn in ihr Herz, dann eile ich zum Geliebten.

Ich küsse ihn vor den Seinen und schäme mich nicht vor den Leuten,
sondern freue mich, weil sie wissen sollen, daß du es bist, der mich erkennt.

Ich feiere meiner Göttin ein Fest, mein Herz springt und will hinausgehen,
um mich den Geliebten schauen zu lassen in der Nacht - wie schön im Vorübergehen!

VII

Sieben Tage sah ich die Geliebte nicht, und Krankheit befiel mich.
Meine Glieder wurden schwer, ich verlor sogar das Bewußtsein.

Kommen die Ärzte zu mir, bin ich mit ihren Rezepten nicht zufrieden;
die gelehrten Doktoren finden keinen Ausweg, mein Leiden wird nicht erkannt.

Doch wer mir sagt: “Schau, sie ist da!”, der belebt mich. Ihr Name ist das, was mich hochbringt;
das Kommen und Gehen ihrer Boten ist es, was mein Herz lebendig macht.

Besser als alle Mittel ist mir die Geliebte, mehr ist sie für mich als alle Rezepte.
Ihr Eintritt von draußen ist mein Amulett, wenn ich sie sehe, bin ich gesund.

Macht sie die Augen auf, dann verjüngt sich mein Leib; spricht sie, so werde ich mutig,
und wenn ich sie umarme, verjagt sie alles Über - Aber sie ging von mir vor sieben Tagen!

 

Zurück