Die Welt der Klagen

Die Mahnworte des Ipuwer Chacheperreseneb klagt Neferti prophezeit
Die Gedichte des Lebensmüden

    Die Mahnworte des Ipuwer

    Der Text wird allgemein in die Erste Zwischenzeit datiert und als Spiegelung des Zusammenbruches der staatlichen Ordnung am Ende des Alten Reiches verstanden. Oftmals spricht man davon auch von "Auseinandersetzungsliteratur", weil es auch um die Bewältigung des Zusammenbruches der als so selbstverständlich angesehenen Ordnung geht. Der Anfang ist zerstört und in einem nachfolgenden langen Abschnitt wird in eindrücklichen Bildern das Elend der Welt beschworen ("Wahrlich ..." oder "Es ist doch so ..."). Ipuwer beklagt auch die fehlende Autorität des Königs ("Zerstört ist ..." und beschwört das Gegenbild des momentanen Chaos ("Gedenket ..."). Auch Gott wird in Frage gestellt und an ihm als "guten Hirten" gezweifelt.

    Auch hier wird nicht die ganze Klage vorgestellt sondern nur ein Auszug.

    .....
    Die Türhüter sagen: "Lasst uns gehen und plündern!",
    .....
    Der Wäscher weigert sich, seine Last zu tragen, die Vogelfänger stellen sich in Schlachtordnung auf, die Sumpfbewohner tragen Schilde, die Brauer sind im Aufruhr.
    Der Vornehme geht in Trauer wegen dem, was in der Welt geschieht, während der Elende stolz einherschreitet; die Beduinen sind allerorten Ägypter geworden.
    .....
    Wahrlich, das Gesicht erbleicht, denn der Bogenschütze steht bereit; Verbrechen ist überall, denn es fehlt an Autorität.
    Wahrlich, Plünderer sind überall, und der Diener nimmt, was er findet.
    Wahrlich, der Nil bringt Flut, doch man pflügt nicht für ihn; alle sagen: "Wir wissen ja nicht, was in der Welt geschehen wird."
    Wahrlich, die Frauen sind unfruchtbar, man wird nicht mehr schwanger, nichts kann der Schöpfer mehr bilden, wegen des Zustands der Welt.
    Wahrlich, die Bettler besitzen jetzt Reichtum; wer sich keine Sandalen leisten konnte, häuft Schätze auf.
    .....
    Wahrlich, die Herzen sind gewalttätig, Pest geht durch das Land, Blut ist überall, kein Mangel an Tod, und das Totenkleid meldet sich, bevor man ihm nahe kommt.
    .....
    Wahrlich, der Fluss ist Blut, und doch trinkt man von ihm; man schreckt vor den Leichen zurück und dürstet nach Wasser.
    Wahrlich, Tore, Säulen und Wände sind verbrannt, während die Halle des Palastes noch überdauert.
    Wahrlich, das Schiff der Südleute schwankt, die Städte sind zerstört, und Oberägypten ist zur leeren Wüste geworden.
    .....
    Wahrlich, Wüste ist durch die Welt hin ausgebreitet, die Gaue sind zerstört, und fremde Barbaren sind nach Ägypten gekommen.
    .....
    Wahrlich, Elephantine und Thinis, die oberägyptischen Gaue – sie liefern keine Abgaben mehr wegen des Aufruhrs. Es fehlt an Getreide, Holzkohle, Brennholz .....
    Wozu dient ein Schatzhaus ohne seinen Inhalt? Froh ist ja das Herz des Königs, wenn Geschenke zu ihm kommen, aber jedes Fremdland sagt jetzt: "Alles gehört uns!" Was sollen wir dagegen tun? Alles geht zugrunde!
    .....
    Wahrlich, der Arme ist zum Rang der Götterneunheit gelangt, jene Vorschriften des "Dreißigerhauses" sind enthüllt.
    Wahrlich, das Große Gefängnis ist eine öffentliche Stätte, der Arme geht aus und ein in den Gerichtshöfen.
    Wahrlich, die Kinder der Großen sind auf die Straße geworfen.
    Der Wissende sagt: "So ist es", der Törichte sagt: "Nein", und erfreulich findet es nur der, der nichts begreift.

    *****

    Seht doch, das Feuer will hoch auflodern, sein Brand fährt heraus gegen die Feinde des Landes!
    Seht doch, Dinge sind getan, die noch niemals geschahen – ein König ist fortgenommen (aus dem Grab?) vom Gesindel!
    Seht doch, der als Falke begraben war, ist gepackt, was die Pyramide verbarg, ist geleert worden!
    Seht doch, das Land wird arm gemacht an Königtum durch wenige Menschen, die keinen Plan haben.
    .....
    Seht, die Residenz ist voller Furcht, weil ein Herr mangelt, Aufruhr ist entstanden, ohne Einzugreifen!
    Seht, das Land hat sich mit Banden gefüllt, der Feige raubt die Habe des Tapferen.
    .....
    Seht, die Behörde des Landes ist durch die Welt verstreut, und der sie vertrieben hat, sitzt im Königspalast.
    .....
    Seht, die Großen des Landes irren umher und haben keine Aufgabe, weil es an allem fehlt!
    Seht, kein Amt ist an seiner richtigen Stelle, wie eine verirrte Herde, die keinen Hirten hat.
    Seht, das Vieh läuft dahin, niemand hütet es, jedermann holt sich davon und stempelt es auf seinen Namen.
    Seht, ein Mann wird erschlagen neben seinem Bruder, und der lässt ihn im Stich, um sich selber zu retten.

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    .....
    Zelte stellen Sie auf wie die Wüstenbewohner.
    Zerstört ist, dass die Gefolgsleute ausführen, was ihre Herren ihnen anvertrauen, denn sie haben keinen Respekt; sind es fünf Leute, dann sagen sie: "Geht doch auf dem Weg, den ihr kennt – wir sind gerade erst angelang!"
    So weine denn Unterägypten!
    Der königliche Speicher ist Gemeingut für jedermann, der ganze Königspalast ist von seinen Vorräten entleert.
    .....
    Vernichtet ist die herrliche Residenz, mit erfahrenen Behörden .....
    Vernichtet ist jene herrliche Residenz, mit zahlreichen Gesetzen .....
    Vernichtet ist jene herrliche Residenz, ..... man kann nicht widerstehen .....
    Vernichtet ist jene herrliche Residenz, mit vielen Heiligtümern – wahrlich, .....

    *****

    Gedenket einzutauchen ..... den Leidenden, wenn seine Glieder krank sind.
    .....
    Gedenket, Heiligtümer zu errichten, mit Weihrauch zu räuchern, aus dem Wasserkrug zu spenden am frühen Morgen.
    Gedenket der fetten Graugänse, der Bläßgänse und Enten, um Gottesopfer für die Götter darzubringen.
    .....
    Gedenket, Flaggenmasten aufzustellen und Opfertafeln zu meißeln und zu veranlassen, dass der Priester die Kulträume säubert, der Tempel weißgetüncht ist wie Milch, dazu den Duft der Opferkammern angenehm zu machen und die Opferbrote aufzustellen.
    Gedenket, die Vorschriften zu bewahren und Daten einzuhalten, den entfernen, der unrein in das Priesteramt eingeführt wurde, denn so zu tun, ist töricht und bedeutet, das Herz zu strafen .....
    ..... Tag, welcher der Ewigkeit gebietet, dieser Monat .....
    Gedenket, Ochsen zu schlachten .....
    Gedenket, ..... Graugänse auf die Flamme zu legen .....

    *****

    Seht, weshalb sucht er Menschen zu schaffen, wenn der Scheue nicht vom Gewalttätigen unterschieden ist, so daß er Kühlung auf die Hitze brächte? Wohl sagt man: “Er ist ein Hirte für jedermann, keine Schlechtigkeit ist in seinem Herzen”, aber dürftig ist seine Herde, wenn er sie den Tag lang gehütet hat, denn hitzig sind ihre Herzen. O hätte er soch ihr Wesen erkannt im ersten Geschlecht, dann hätte er sie mit Unheil geschlagen und den Arm gegen sie ausgestreckt, hätte sein Vieh vernichtet und ihre Erben, wenn man noch gebären wollte!
    Verhärtung des Herzens ist entstanden, Bedrängnis ist auf allen Wegen.
    Es gibt keinen Lotsen zu ihrer Stunde - wo ist er denn heute? Schläft er etwa? Man sieht ja seine Macht nicht
    .....
    Jener ....., der den Umsturz bewirkt hat, seine Aussprüche sind es, die den Mund aller Leute füllen .....
    .....
    Du aber hast veranlaßt, daß es so wurde, Lüge hast du gesprochen!
    Die Welt ist verwildert, die Menschen sind zugrunde gerichtet, man wird nicht mehr unter die Lebenden gezählt.
    Alle diese Jahre über ist Streit, ein Mann wird sogar auf dem Dach seines Hauses erschlagen, während er wacht in seinem Grenzhaus.
    Nur wenn er tapfer ist, rettet er sich und bleibt so am Leben.
    .....
    O würdest du doch etwas von ihrem Elend empfinden, dann würdest du sprechen: "Leiden ....."

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    Schön aber ist es, wenn die Schiffe stromauf segeln, wenn ..... sie nicht raubt.
    Schön aber ist es, wenn das Netz eingezogen wird, wenn Vögel zusammengebunden werden .....
    Schön aber ist es, wenn die Hände der Menschen Pyramiden bauen, wenn Teiche gegraben und Baumgärten für die Götter angelegt werden.
    Schön aber ist es, wenn die Menschen trunken sind, wenn sie Met trinken und ihre Herzen froh sind.
    Schön aber ist es, wenn der Mund voll Jauchzen ist, wenn die Dorfältesten dastehen und den Jubel aus ihren Häusern betrachten, gekleidet in feines Leinen .....
    Schön aber ist es, wenn feinstes Leinen ausgebreitet ist am Neujahrstag .....
    .....

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    Man kann niemand finden, der aufsteht und sie schützt .....,
    jeder kämpft für seine Schwester und um sich selber zu schützen.
    Wenn es Nubier sind, können wir uns selber schützen, die Kämpfer sind zahlreich genug, um die Bogenschützen abzuwehren.
    Sind es Libyer, dann treiben wir sie zurück, und die Nomaden sind schon im Frieden mit Ägypten.
    Wie aber kommt es, daß jeder seinen Bruder tötet?
    Der Nachwuchs, den wir ausgehoben haben, ist zu Feinden geworden und ist dabei, zu zerstören.
    So kommt es, daß die Asiaten vom Zustand des Landes Kenntnis haben, während doch sonst alle Ausländer es fürchten.
    Das Gefühl der Leute ist daher, man solle Ägypten nicht dem Wüstensand überliefern, denn siegreich ist es wegen seiner festen Grenzen .....

    Die Mahnworte des Ipuwer Chacheperreseneb klagt Neferti prophezeit
    Die Gedichte des Lebensmüden

    Chacheperreseneb klagt

    Der Text wird in die Zeit der 12. Dynastie, ca. 1800 v. Chr., datiert. Der Autor, dessen Namen mit dem Thronnahmen Sesostris II. gebildet wurde, wird als weiser Lehrer der Vorzeit genannt. Zeitlos ist seine Sehnsucht nach neuen, noch nicht abgegriffenen Worten, mit denen sich das Unerhörte beschreiben ließe! Er vergleicht den Zustand der Welt mit einer schlimmen Krankheit, was u.a. auch Tutanchamun bei seiner Schilderung der Zeit Echnatons wieder aufgreift.

    Die Klage des Chacheperreseneb wird auszugsweise wiedergegeben.

    Abriß der Worte, Blütenlese der Sprüche, Sehnsucht nach Reden bei der Suche nach dem Herzen, verfaßt von dem heliopolitanischen Priester ..... Chacheperreseneb, genannt Anchu:

    Hätte ich doch unbekannte Reden, fremdartige Sprüche, neue Worte, noch nie gebraucht und frei von Wiederholungen, nicht die Sprüche der Vergangenheit, welche die Vorfahren schon brauchten!

    Ich presse meinen Leib aus von dem, was er hält, ich siebe alle meine Worte; denn Wiederholung ist alles, was man sagt, und alles Gesagte ist schon einmal gesagt. Die Worte der Vorfahren sind nichts zum Rühmen, wenn die, die später kommen, sie wiederverwenden.
    Der soll nicht sprechen, der schon gesprochen hat, sondern der soll sprechen, der etwas zu sagen hat. Ein anderer soll herausfinden, was zu sagen ist, kein bloßes Nachschwätzen von Worten, wie man es immer schon tat!
    .....
    Ich sage dies, wie ich es kennengelernt habe: Von der ersten Generation bis zu denen, die einst kommen, alle ahmen nur nach, was vergangen ist.
    .....
    Ja, ich denke nach über das, was geschehen ist, über die Ereignisse in der Welt:
    alles wandelt sich, nichts ist vie im vorigen Jahr, ein Jahr lastet schwerer als das andere, die Welt ist verwirrt, zerstört, verwüstet.
    .....
    Das Land macht eine Krankheit durch, überall herrscht Jammer, Stadt und Land sind voller Klage, alle sind gleichermaßen mit Unheil geschlagen.
    .....
    Ich muß darüber sprechen, denn mein Leib ist bedrückt, Trauer wohnt mir im Herzen, und es ist schmerzhaft, darüber zu schweigen.
    .....
    Hätte ich doch ein Herz, leiderfahren, dann würde ich bei ihm Zuflucht finden; ich könnte es damit beladen, mein Leid zu klagen, würde ihm meinen Schmerz auferlegen!
    Er sprach zu seinem Herzen:
    Komm doch, mein Herz, daß ich zu dir spreche und du mir antwortest auf meine Sätze – deute mir, was in der Welt geschieht, warum die, die glänzten, gestürzt sind.
    Ja, ich denke nach über das, was geschehen ist:
    Not ist heute hereingebrochen, Feindschaft wird auch morgen herrschen, aber alle Welt schweigt darüber. Das ganze Land ist in großer Verwirrung, niemand ist frei vom Bösen, und alle tun es, ohne Unterschied, die Herzen sind gierig. Wer Befehle erteilte, dem wird jetzt befohlen, und beide finden sich damit ab.

    Man wacht täglich dazu auf, und die Herzen weisen es nicht zurück, die Sorgen von gestern sind die von heute, man beachtet es nicht, weil es zu viel ist.
    .....
    Einer Rede zu entgegnen, schafft Feindschaft, das Herz nimmt die Wahrheit nicht an, und man duldet keinen Widerspruch, denn jeder liebt nur seinen eigenen Worte.
    Alle Welt baut auf 'Krummes', aufrichtige Rede ist abgeschafft. Zu dir sprach ich, mein Herz, daß du mir antwortest! Ein angeredetes Herz darf nicht schweigen, denn die Sorgen des Herrn sind die des Dieners – zu viel lastet auf dir!

    Die Mahnworte des Ipuwer Chacheperreseneb klagt Neferti prophezeit
    Die Gedichte des Lebensmüden

    Neferti prophezeit

    Dieser Text ist auf einem Papyrus der 18. Dynastie, zwei Schreibtafeln der gleichen Zeit und vielen Ostraka überliefert; offenbar gehörte er im Neuen Reich zur Schullektüre. Die politische Verwurzelung der Klagen wird hier besonders deutlich: Vom Hintergrund der verwirrten Welt hebt sich als positiver Kontrast der Anbruch einer neuen, geheilten Z eit unter dem Herrscher "Ameni" ab, mit dem Amenemhat I. gemeint ist, dessen dynastische Legalität der Text zu begründen hilft. Auch von Snofru, dem Begründer der 4. Dynastie, ist die Rede. Er gilt, im Gegensatz zu seinem Sohn Cheops, nicht als Despot, sondern lebt in der Überlieferung als leutseliger Landesvater.

    Die Prophezeiung des Neferti wird auszugsweise wiedergegeben.

    Es gab einmal die Majestät des Königs Beider Ägypten, Snofru, als trefflichen König in diesem ganzen Land. An einem jeder Tage geschah es, daß die Beamtenschaft der Residenz eintrat zum König, um ihn zu begrüßen. Dann gingen sie wieder hinaus, nachdem sie ihn begrüßt hatten, wie sie es jeden Tag zu tun pflegten.
    Da aber sprach Seine Majestät zu dem Siegelbewahrer an seiner Seite: "Bring mir eilends die Beamtenschaft der Residenz zurück, die gerade von der Begrüßung hier fortgegangen ist!" Man holte und brachte sie ihm sofort. Darauf lagen sie auf dem Bauch vor Seiner Majestät zum zweiten Mal.
    Da sprach Seine Majestät zu ihnen: "Ihr Leute, seht, ich habe euch rufen lassen, damit ihr mir einen Sohn von euch sucht, der erfahren ist
    .....
    Er soll mir einige schöne Reden sagen, ausgewählte Sprüche, die Meine Majestät beim Anhören erfreuen."
    Da warfen sie sich auf ihren Bauch ein weiteres Mal und sprachen zu Seiner Majestät: "Es gibt einen großen Vorlesepriester der Bastet, o König, unser Herr, Neferti mit Namen. Das ist ein Bürger mit kräftigem Arm, ein Schreiber mit geschickten Fingern ist er, und ein Vornehmer, der reicher ist als jeder seinesgleichen. Möge er geholt werden, daß ihn Seine Majestät sehe."
    Er wurde sogleich auf Befehl Seiner Majestät hereingeführt und lag auf dem Bauch vor seiner Majestät und der König sprach: "Komm doch, Neferti, mein Freund, daß du mir einige schöne Reden sagst, ausgewählte Sprüche, die Meine Majestät beim Anhören erfreuen."
    Darauf sprach der Vorlesepriester Neferti: "Etwas von dem, was schon geschehen ist, oder etwas von dem, was erst geschehen wird, o König, mein Herr?" Seine Majestät darauf: "Etwas von dem, was geschehen wird, denn das Heute ist ja im Nu zu Vergangenem geworden." Da streckte er seine Hand zum Schreibkasten aus, nahm sich eine Buchrolle und eine Binse heraus und hielt schriftlich fest, was der Vorlesepriester Neferti sagte.
    .....
    Er dachte nach über das, was in der Welt geschieht, er beschwor den Zustand des Ostdeltas, wenn die Asiaten in ihrer Macht kommen, die überfallen, die ei der Ernte sind, und ihnen die Gespanne vor dem Pflug rauben.
    Er sprach: "Rege dich, mein Herz, daß du dieses Land beweinst, aus dem du stammst, denn Schweigen wäre verwerflich. Es gab doch etwas, wovon man respektvoll sprach, doch der Beamte ist zu Boden geworfen im Land.
    .....
    Das Land wird zugrunde gerichtet, und niemand kümmert sich darum oder spricht darüber oder vergießt deswegen Tränen. Denn wie ist dieses Land? Die Sonne ist verhüllt und leuchtet nicht, daß die Menschen sehen können; aber man kann nicht leben, wenn Wolken sie verhüllen, und jeder taub ist, wenn sie nicht da ist.
    Ich will von dem sprechen, was mir vor Augen ist, ich sage nicht voraus, was nicht eintrifft.
    Ausgetrocknet ist der Strom Ägyptens ..... man wird vergeblich Wasser suchen für das Schiff, damit es fährt, denn sein Weg ist zum Ufer geworden.
    .....
    Dann gehen jene schönen Dinge zugrunde, die Fischteiche mit den Fischreihern, überquellend von Fischen und Vögeln.
    .....
    Aufruhr ist im Osten entstanden, die Asiaten sind nach Ägypten hinabgestiegen .....
    Dieses Land schwankt hin und her, unwissend, was für Prüfungen noch geschehen werden .....
    Ich zeige dir das Land in schwerer Krankheit, was nicht geschehen sollte, ist geschehen: Man wird Waffen des Krieges ergreifen, so daß das Land im Umsturz lebt. Man wird Pfeile aus Kupfer machen und Blut für Brot fordern.
    .....
    Ich zeige dir den Sohn als Gegner, den Bruder als Feind, einen Mann, der seinen Vater tötet!
    Jeder Mund ist voller Sehnsuchtsworte, denn alles Glück ist geschwunden; die Welt ging zugrunde, als ob es so bestimmt sei, Mängel sind in allem, was man tut, Verfall in allem, was man findet, Geschaffenes ist wie Ungeschaffenes.
    .....
    Rede wirkt auf das Herz wie Feuer, was der Mund spricht, kann man nicht ertragen.
    Das Land ist gering, aber der Herrschenden viele, es ist verwüstet, aber seine Steuern sind hoch.
    .....
    Die Sonne hat sich von den Menschen getrennt – sie geht zwar noch auf zur richtigen Zeit, aber niemand weiß, wann es Mittag ist, denn man nimmt seinen Schatten nicht wahr. Kein Gesicht wird geblendet, das sie sieht, und kein Auge füllt sich mit Wasser, denn sie steht am Himmel wie der Mond, auch wenn sie ihrem vorgeschriebenen Laufe folgt und ihre Strahlen uns vor Augen sind, wie es immer war.
    .....
    Ich zeige dir das Unterste zuoberst, was auf dem Rücken war, hat jetzt den Bauch unten. Man lebt, wo die Toten sind, die Bettler häuft Schätze auf, der Reiche bettelt, um zu leben.
    ....
    Aber ein König des Südens wird kommen, Ameni mit Namen, Sohn einer Frau aus Nubien und ein Kind Oberägyptens ist er.
    Er wird die Weiße Krone nehmen und wird die Rote Krone tragen – so wird er die Beiden Mächtigen vereinen und wird die Beiden Herren zufriedenstellen nach ihrem Wunsch .....
    Man wird die 'Mauern des Herrschers' bauen, um die Asiaten nicht nach Ägypten hineinzulassen; demütig sollen sie um Wasser flehen, um ihre Herden zu tränken.
    Die Gerechtigkeit wird an ihren Platz zurückkehren, das Unrecht ist hinausgeworfen. Freuen wird sich, wer es sieht, wer im Dienste des Königs sein wird!
    Und wer weise ist, wird mir Wasser spenden, wenn er sieht, daß meine Prophezeiung sich erfüllt hat."

 

    Die Mahnworte des Ipuwer Chacheperreseneb klagt Neferti prophezeit
    Die Gedichte des ‘Lebensmüden’

    Gedichte des ‘Lebensmüden’

    Auszug aus einem Werk, das wie die Klagen zur "Auseinandersetzungsliteratur" des Mittleren Reiches gehört und nur in einer einzigen Handschrift aus der 12. Dynastie erhalten ist. Eine Fülle von Deutungen und Bearbeitungen hat sich immer wieder um das Verständnis des schwierigen Textes bemüht. So viel ist sicher, daß der "Lebensmüde" wie der "Oasenmann" am gegenwärtigen, schmerzhaft unvollkommenen Zustand der Welt, an all ihrem Elend verzweifelt und seine Hoffnung auf ein Fortleben im Jenseits richtet. Demgegenüber ist sein Ba, der frei bewegliche seelische Teil des Menschen, das lebensspendende Prinzip; er sucht den Menschen auf das Diesseits zurückzulenken und droht sogar, sich vom Menschen zu trennen.

    Die Gedichte des 'Lebensmüden' werden auszugsweise wiedergegeben.

    Siehe, anrüchig ist mein Name durch dich, mehr als der Gestank von Aasgeiern an Sommertagen, wenn der Himmel glüht.

    Siehe, anrüchig ist mein Name durch dich, mehr als der Gestank beim Fischempfang am Tage des Fischfangs, wenn der Himmel glüht.

    Siehe, anrüchig ist mein Name durch dich, mehr als der Gestank von Vögeln, als ein Sumpfdickicht mit Wasservögeln.

    Siehe, anrüchig ist mein Name durch dich, mehr als eine Ehefrau, über die man Lügen verbreitet wegen eines Mannes.

    Siehe, anrüchig ist mein Name durch dich, mehr als eine Siedlung des Königs, die auf Empörung sinnt, wenn sein Rücken gesehen wird.

    *****

    Zu wem soll ich heute sprechen? Die Angehörigen sind schlecht, die Freunde von heute kann man nicht lieben.

    Zu wem soll ich heute sprechen? Habgierig sind die Herzen, ein jeder beraubt seinen Nächsten.

    Zu wem soll ich heute sprechen? Das Antlitz des Schlechten glänzt zufrieden, das Gute ist zu Boden geworfen überall.

    Zu wem soll ich heute sprechen? Der Verbrecher ist ein Vertrauensmann, der Bruder, mit dem man lebte, ist zum Feind geworden.

    Zu wem soll ich heute sprechen? Es gibt keinen Gerechten, die Welt bleibt denen überlassen, die Unrecht tun.

    Zu wem soll ich heute sprechen? Ich bin mit Elend beladen weil mir ein Vertrauter fehlt.

    Zu wem soll ich heute sprechen? Das Übel, welches die Welt schlägt – kein Ende hat es!

    *****

    Der Tod steht heute vor mir wie das Genesen eines Kranken, wie wenn man ins Freie tritt nach einem Leiden.

    Der Tod steht heute vor mir wie der Duft von Weihrauch, wie Sitzen unter dem Segel am Tag des Windes.

    Der Tod steht heute vor mir wie das Aufhören des Regens, wie die Heimkehr eines Mannes vom Feldzug nach Hause.

    Der Tod steht heute vor mir wie die Klarheit des Himmels, wie wenn ein Mensch die Lösung eines Rätsels findet.

    Der Tod steht heute vor mir wie der Wunsch eines Menschen, sein Heim wiederzusehen, nachdem er viele Jahre in Gefangenschaft verbrachte.

    *****
    Wahrlich, wer dort ist, ist ein lebendiger Gott, der die Sünden bestraft an dem, der sie tut.

    Wahrlich, wer dort ist, der steht im Sonnenschiff, Erlesenes verteilt er daraus für die Tempel.

    Wahrlich, wer dort ist, der ist ein Weiser, der nicht gehindert werden kann, zum Sonnengott zu gelangen, wenn er spricht.

 

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